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einBlick: Wende bei der Zinswende?


Anders als bei den Zinssenkungen, war bei der Erhöhung noch die amerikanische Notenbank der Vorreiter. Als sich vor etwas mehr als zwei Jahren die Inflation auf hohem Niveau einpendelte und den höchsten Stand seit 40 Jahren erreichte, erhöhte Fed-Chef Jerome Powell die Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte. Obwohl die Geldentwertung auch in Europa rekordverdächtig voranschritt, zögerte die EZB mit ihrer Reaktion. Der erste Zinsschritt erfolgte erst drei Monate nach den US-Amerikanern. Ökonomen kritisierten die späte Reaktion im Juli 2022 als verspätet und zu zurückhaltend.

Diese Kritik scheint bei EZB-Chefin Christine Lagarde jedoch angekommen zu sein. In der Folge erhöhten die Notenbanken in den USA und Europa beinahe im Gleichschritt – und in einem Rekord-Tempo! Bis zum Sommer 2023 erhöhte die Fed die Zinsen elfmal auf einen Korridor zwischen 5,25 und 5,5 Prozent. Die EZB erreichte hingegen einen Zinshöhepunkt von 4,5 Prozentpunkten. So hohe Leitzinsen hatten die Märkte seit mehr als 15 Jahren nicht mehr erlebt. In der Folge gingen Wirtschaftswachstum sowie die Kurse von Aktien und Anleihen teilweise deutlich zurück. Aber auch das erklärte Ziel, die Senkung der Inflation, wurde langsam aber sicher erreicht.

So machte sich Ende 2023 die Hoffnung breit, dass 2024 die Zinsen wieder deutlich gesenkt werden könnten. Doch diese Hoffnung schien etwas verfrüht. Nach Ablauf des ersten Halbjahres haben wir in Europa nun eine zaghafte Senkung gesehen, die womöglich erstmal die Einzige bleiben könnte und die USA lassen den zeitlichen Rahmen der Zinswende noch vollkommen offen. Doch woran liegt das?

Zunächst muss man feststellen, dass die Situation in den USA und Europa auseinandergedriftet ist. Dem Ziel der Notenbanken, über eine Abkühlung der Konjunktur den Preisauftrieb einzuschränken, ist Europa deutlich nähergekommen als die USA. Während auf unserem Kontinent die Inflation im Mai bei 2,6 Prozent lag, pendelte sich der Wert auf der anderen Seite des Atlantiks bei 3,3 Prozent ein. Von der erklärten Zielmarke von 2 Prozent sind damit beide zwar noch entfernt, trotzdem wird vor diesem Hintergrund klar, warum die EZB zuerst reagieren konnte.

Erst wenn die Inflation in den USA einen klaren Abwärtstrend zeigt, ist auch dort mit Zinssenkungen zu rechnen. Vorher wird die Federal Reserve ihr Pulver trocken halten und auch weitere Kriterien für ihre Entscheidung berücksichtigen. Dazu gehören die (bisher) überraschend guten Arbeitsmarktdaten, welche in der Regel Löhnen und damit indirekt Preisen Auftrieb geben. Neben den positiven Job- und Wirtschaftsdaten könnte auch ein weiteres Ereignis Einfluss auf den Zeitpunkt der ersten US-Zinssenkungen nehmen: die Präsidentschaftswahlen im November. Auch wenn die Fed für sich beansprucht, unpolitisch zu agieren, neigen die Notenbanker zur Zurückhaltung vor Wahlen oder wegweisenden Entscheidungen der Politik.

Während Finanzexperten im März noch von drei Zinssenkungen in diesem Jahr ausgegangen sind, rechnen die meisten Marktbeobachter inzwischen nur noch mit einer Senkung. Es finden sich sogar einige Ökonomen, die gar keine Zinssenkungen mehr in 2024 prognostizieren. Getreu dem Motto „Higher for longer“, übersetzt „höher für länger“, könnte das Zinsniveau in Europa und den USA weiter auseinander gehen. Dies hätte Folgen für die größte Volkswirtschaft der Welt. Hohe Zinsen bremsen die Wirtschaftstätigkeit, verteuern Investitionen und würden zu einer Aufwertung des US-Dollars gegenüber dem Euro sorgen.

Inwieweit sich dies auf die Aktienmärkte auswirken könnte, ist umstritten. Eine konjunkturelle Abkühlung ist laut vieler Experten bereits in den Aktienkursen eingepreist. Hier muss insbesondere zwischen den großen Technologiewerten und beinahe dem gesamten Rest der US-Wirtschaft unterschieden werden. Die weiterhin hohen Stände der US-Indizes täuschen darüber hinweg, dass die Kursentwicklung von wenigen Unternehmen wie Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Nvidia und Meta getrieben wird. Ohne die zehn größten Unternehmen im S&P 500 wäre der Index nicht um bisher 15 Prozent in diesem Jahr gestiegen, sondern die restlichen 490 Unternehmen hätten sogar ein Minus erzielt.

Für die US-Wirtschaft und ihre Robustheit gegenüber einem höheren Zinsniveau spricht aber, dass die Fiskalpolitik weiterhin expansiv bleibt. Die US-Regierung stützt über große Konjunkturpakete die heimische Wirtschaft und dies sollte sich auch mit der Wahl im November nicht entscheidend verändern. Bei allen Unterschieden zwischen Biden und Trump ist die Stärkung der US-Wirtschaft für beide Kandidaten ein wichtiger Kern ihrer Politik. Sollten die Vereinigten Staaten eine Rezession vermeiden können, bleiben Sie damit für Anleger interessant. Gerade europäische Anleger hätten dabei die Chance, zusätzlich von der Währungsaufwertung des Dollars zu profitieren.

Doch wie geht es bei der EZB weiter? Auch wenn die Federal Reserve weiter zögern sollte, könnte die Europäische Zentralbank schon im Herbst eine weitere Zinssenkung durchführen. Grundsätzlich treibt ein sinkendes Zinsniveau die Kurse von Anleihen und Aktien nach oben. Alte Anleihen sind in diesem Szenario attraktiver, da sie eine höhere Rendite erzielen können als neu ausgegebene Zinspapiere. Aktien profitieren davon, dass sie im Vergleich zu Anleihen interessanter werden. Dies ließ sich auch gut an den Kursen seit November 2023 ablesen. Die erwarteten Zinssenkungen gaben Aktien einen Schub und sorgten für eine Rallye, die bis in den Mai anhielt.

Negativ würden sich fallende Leitzinsen in Europa aber auf Tages- und Festgelder auswirken, da Banken den gesunkenen Einlagenzins an ihre Kunden weitergeben. Auffällig war zuletzt, dass viele Anbieter ihre Angebote schon vor dem aktuellen Zinsentscheid deutlich angepasst haben. In der Tendenz sollte das Parken von Geld damit immer unattraktiver werden.

Wie schnell und in welchem Umfang die Notenbanken hier vorgehen können, wird überwiegend von der Preisstabilität abhängen. Kommt die Inflation weiter zurück, werden auch die Notenbanken am (Zins-)Drücker bleiben. Anleger sollten aber bei allen genannten Vorteilen nicht darauf hoffen, dass die EZB nach ihrer Zaghaftigkeit in 2022 nun überhastet vorgeht. Sollte die Inflation wieder ansteigen, würde dies zu einer Verunsicherung am Markt sorgen und die Märkte ins Minus treiben. Die positive Entwicklung der letzten zwölf Monate könnte sich dann schnell umkehren. Anleger sollten daher EZB-Chefin Christine Lagarde die Daumen drücken, dass sie in diesem komplizierten Umfeld Fingerspitzengefühl beweist.


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